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Rede

Rede zur Finissage "Oh Heimat, liebe Heimat"

Eine Präsentation in der Reihe

Mikrokosmen - Weltbilder im Modell (Teil 3)

am 11.09.2004

 

"Aneignung und Verfügbarkeit von Heimat"

 

Der große Naturforscher von Carl Linné machte sich bei Kollegen ähnlicher Zünfte unbeliebt als er aus Ihren Sammlungskabinetten, in denen sie die Natur im Raum abzubilden suchten, eine siebenköpfige Hydra verbannte. Der Schwede, Pionier der biologischen/zoologischen Systematik wußte im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen um Klassifikation, Einordnung und Benennung von (Natur-)objekten: und ein solches Wesen konnte er nur als Fälschung und ins Reich der Fabel verweisen, selbst wenn es ausgestopft und offenkundig einstmals unter den Lebenden weilend als besondere Rarität die Regale in diesem Fall des Amsterdamer Apotheker Albert Seba. Der hatte das Tierchen nicht nur wissenschaftlich, sondern auch pekuniär als besonders wertvoll angesehen - selten wie es ja nun mal war ! Solche aufgedeckten Paradoxa jedoch mußten von nun an aber geradezu rufschädigend wirken. Wahrscheinlich wird es Seba noch nicht gelungen sein, es statt dessen als raffiniertes Kunstwerk zu schätzen

Wir befinden uns im 18. Jahrhundert und die Zeit der Wunderkammern und enzyklopädischen Naturalkabinette (oft gab es Verbindungen aus beidem) neigte sich zunehmend dem Ende entgegen, die Methoden aber Pflanzen und Tiere (reale wie erfundene - und sogenannte Fakes gab es eine Menge damals) langfristig aufzubewahren und allmählich der Forschung zugänglich zu machen, lag bereits ca. ein Jahrhundert zurück. Gläser - ganz ähnliche wie diese hier - wurden wohl etwa seit dieser Zeit als optimal schützende und praktischerweise einsehbare Gefäße eingesetzt, das Ganze in Tateinheit mit der Entwicklung von Konservierungsstoffen insbesondere für sogenannte Feuchtpräparate (der Anatom Frederyk Ruysch, dessen Sammlung anatomischer Präparate später an Peter den Großen nach Rußland gehen wird, soll zur Haltbarkeit Alkohol mit Zusätzen von Pfeffer, Cardamom und Gewürznelken bevorzugt haben).

Ein wenig knüpfen wir hier an, an eine Zeit des Übergangs, in der man allerdings von Begrifflichkeiten und Nomenklaturen (wie Linné sie einst einführte) hin zur Anschaulichkeit des inszenierte Bildes – bzw. zum gestalteten Mikrokosmos [Hinweise auf Untertitel] –zurückfindet. In Präparationszylindern werden hier ein die Menschheit seit jeher berührender Begriff „Heimat“ konservierend, oder doch weitgehend konservierend (man denke etwa an das 'Nürnberger Würstchen im Sammlungsglas‘) illustriert, dessen vielfältige Veranschaulichung auch auf den zweiten Blick an jene alten Naturalienkabinetten und Wunderkammern anknüpft: Es erscheinen die reinen Bereiche der Natur und die der Kunst – Naturalia neben Arteficialia – und neben den ‚Schriftzeugnissen‘ kommen hier noch variantenreiche Poetika (besondere Kombinationen von Kunst und Natur) hinzu. In dieser schönen Ordnung, der die Glaszylinder in vier verschiedenen Größen bei genauerem Hinsehen unterworfen sind, finden sich Dinge und Interpretationen, die durchaus ins Reich der Fabel gehören könnten: Rarae - eines neben dem anderen gar – Paradoxa auch in einer globalisierten Welt der Rast- und Ortlosigkeit. Der Regisseur Edgar Reitz dessen dritte Folge seines „Heimat“-Filmepos soeben in Venedig vorgestellt wurde, brachte es auf den Punkt: „Wenn die Welt ohne Grenzen ist und Orte beliebig werden, dann ist ‚Heimat‘ nicht mehr Ausdruck für einen Ort, sondern zum Ausdruck für Zeit geworden...“

Gefrorene Zeit um uns herum –

Die Zusammenschau der Gläser fesselt, nicht zuletzt, weil sie eine unhierarchische, ja demokratische Sammlung widerspiegeln (alle Gläser stehen ungeachtet ihrer Herkunft nebeneinander; und die beteiligten Interpreten rekrutieren sich aus allen sozialen und Altersschichten der Gesellschaft. [Soziale Plastik par excellence ?]

Das frappierende ist, daß sich dieses hoffentlich noch erweiternde Heimatmodell – nun wieder auf Reisen gehend und schon jetzt aus rund 100 Gläsern bestehend –

so unglaublich viele Spielarten widerspiegelt, das die eigentliche Unsagbarkeit der ‚Empfindung‘ Heimat noch deutlicher hervortritt.

Bei der überwiegenden Zahl der Gläser gibt es keinen Hinweis auf den/die UrheberIn – die Inszenierungen stehen für sich oder weisen als lyrische Beschreibungen über das Persönliche hinaus, wie zum Beispiel in der Zeile (langes Glas mit grünem Kopf oben):

„Heimat ist eine süße Geschichte über vergängliche Zeiten im Wandel der Farben, Formen und Gedanken aller“.

 

Im Namen von Niels Tofahrn und Ralf Drolshagen möchte ich allen danken, die bisher und weiterhin so kreativ und phantasievoll an dieser Idee mitwirk(t)en und als Inventorin der WUNDERKAMMER möchte ich den beiden Künstlern herzlich danken, daß Sie Ihr Projekt in so wunderbarer Weise in diesen Raum implementiert haben.

 

                                                                               Gabriele Beßler                     Gabriele Beßler

 

*Der Titel ist der Überschrift eines Aufsatzes von Ilse Jahn entlehnt: „Sammlungen – Aneignung und Verfügbarkeit“ (in: Grote, Makrokosmos in Mikrokosmo – Berliner Schriften zur Museumskunde Bd. 10, Opladen 1994, S. 475)

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